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Trommeln der Schamanen

Die Trommel ist das wichtigste Requisit des Schamanen. Die im Völkerkundemuseum der Universität Zürich gezeigten Stücke stammen aus dem gesamten nordasiatischen Raum und dem Himalaya. Die Ausstellung – weltweit die erste dieser Art – wirft ein Licht auf die religiösen Weltbilder der vielen kleinen Völker dieses riesigen Gebietes.

Trommeln der Schamanen vereint erstmals unter einem gemeinsamen Dach eine grosse Anzahl an Exponaten der angekündigten Art zu einer exklusiven Schau. Die ausgestellten Stücke stammen aus namhaften Museen und privaten Sammlungen der ganzen Welt und bezeugen eine religiöse Praxis, wie sie seit Jahrhunderten von Heilern, Seelenführern und Visionären der kleinen Völker Asiens, Skandinaviens, der arktischen Zonen und des Nordens von Amerika gepflogen wurde und in einzelnen Gegenden noch oder wieder lebendig ist. Auf diesem transkontinentalen Schauplatz war die Trommel stets das wichtigste Hilfsmittel schamanischer Aktivitäten, mochten sich diese auch von Ort zu Ort, von Ethnie zu Ethnie, von Lokalkultur zu Lokalkultur unterscheiden. Und wie jede lokale Gruppe die Vorstellungen und Handlungen ihrer umliegenden Nachbarn variierte und sich auf diese Weise von ihnen absetzte, so veränderten auch die Trommeln als ausführende Organe religiöser Praxis von einem Ort zum nächsten, ja selbst von Exemplar zu Exemplar, ihr physisches Erscheinungsbild und die Ideen und Geschichten, die sich an sie knüpften.

Die Vielfalt der schamanischen Praxis
Die Einmaligkeit jeder einzelnen Schamanentrommel lässt den fliessenden Charakter schamanischer Praxis anklingen. Statt eine auf einen Sammelnamen eingeschriebene religiöse Aktivität – den Schamanismus – auf einen einzigen Gegenstand zu projizieren, versucht die Ausstellung über die ungezählten Gestalten eines einzigen Gegenstandes auf die unerschöpfliche Vielfalt einander ähnlicher religiöser Weltbilder hinzuweisen: auf die vielen Schamanismen.

Bei aller unteilbaren Besonderheit jedes einzelnen Stückes gibt es ein grundlegendes Identitätsmerkmal, das alle Schamanentrommeln miteinander teilen: Von Lappland bis nach Kamtchatka, von der Prärie zum nördlichen Eismeer und von dort bis zum Himalaya gehören sie alle zu einem einzigen Basistyp. Stets sind es Rahmentrommeln mit Reifen aus Holz und Membranen aus Leder. Dabei liefert das Holz der Rahmenlatte ein bestimmter, im Wald gefällter Baum, und ein erlegtes Tier aus der Wildnis stellt die darüber gespannte Haut. Dank Herkunft aus der freien Natur und der organischen Zusammensetzung der beiden elementaren Werkstoffe werden die Rahmentrommeln der Schamanen überall als halbwegs gebändigte, halbwegs ungezähmte Lebewesen aufgefasst. Gemeinsamer Grundtypus auf der einen und unaustauschbare Individualität auf der anderen Seite – zwischen diesen beiden Polen sind die morphologischen Eigenschaften der Schamanentrommel angesiedelt und zwischen ihnen oszilliert die Anlage der hier präsentierten Ausstellung. Dies erzeugt im Betrachter einen Spannungsbogen zwischen Wiedererkennen und Neuentdecken. Sich dieser Spannung auszusetzen, bedeutet: aus der greifbaren Einheit und Vielfalt eines physischen Objektes einen sinnlichen Eindruck zu gewinnen von Einheit und Vielfalt in Raum und Zeit einer Religionsausübung ohne Schrift und Dogma.

Umwandlung der Formen
Die nahezu hundert ausgewählten Trommeln – vornehmlich aus Nordasien und dem Himalaya – dokumentieren ein riesiges Beziehungsnetz fortschreitender Umwandlung von Formen. Die Metamorphosen der Stücke, alles andere als beliebig, entfalten sich in mobilen Rastern von Lokalität zu Lokalität nach stilistischen Konventionen und konzeptuellen Bedürfnissen, die in Kenntnis benachbarter und in Unkenntnis weit entfernter Varianten festgelegt wurden. So ergibt es sich, dass für das immense Verbreitungsgebiet der Schamanentrommel zusammengehörige Untergruppen nach bestimmten Merkmalen isoliert werden können – kleine ›Inseln der Form‹. Solche Inseln der Form sind zahlenmässig auffallend gering – kaum mehr als ein Dutzend insgesamt. Sie bestimmen die Anordnung der Objekte.

Die Funktionen der Schamanentrommel
Wo immer Schamanen zu ihrem Rüstzeug greifen, erweist sich die Trommel als das unerlässliche Requisit ihrer Tätigkeiten. In ihr nämlich laufen alle Funktionen zusammen, die das Handeln der Schamanen bestimmen: Anrufung der Ahnen, Rezitation der Ursprungsmythen, Reise in die Ober- und Unterwelt, Kommunikation mit den Übernatürlichen, Kampf gegen negative Kräfte, Abwehr übelwollender Geister, Diagnose von Unheil und Krankheit, Kunstgriffe der Heilung und Zukunftsvorhersage. Und an der Trommel konkretisieren sich immaterielle Ideen – kosmographische Weltbilder, Jenseitsvorstellungen, Personifikationen von Geistwesen und deren Symbole – festgehalten im Bau und in den verwendeten Materialien des Instrumentes, vor allem aber in den archaischen Malereien auf der Trommelhaut. Manche der ausgestellten Stücke weisen derartige Bemalungen auf. Wo sie fehlen, sind sie entweder durch Abnutzung oder vom Schwamm der Zeit fortgewischt worden; oder es hat – wie von einzelnen Regionen überliefert – solche niemals gegeben. Wo es sie gab oder gibt, vermitteln die Zeichnungen auf der Leinwand der Trommelhaut untrügliche Einblicke in die kollektive Vorstellungswelt ihrer Schöpfer. Als Landkarten des Kosmos bilden sie unterschiedliche Weltschichten ab, deren Bewohner, Fabeltiere und Geistwesen; oder sie geben Zeugnis von den Reichtümern an Flora und Fauna der natürlichen Umwelt.

Aquarelle von Trommelmalereien
Bei manchen von ihnen kommen Assoziationen zu steinzeitlichen Felsmalereien in den Sinn. Aufgrund der Unzugänglichkeit der Bildträger und der geringen Bekanntheit der Motive wurden eigens für die Ausstellung sechzig Trommelmalereien getreu nach Vorlage und von künstlerischer Hand in Aquarellform nachgezeichnet. Eine Serie von Tuschzeichnungen, ebenfalls von hoher ästhetischer Umsetzung, erlaubt Vergleiche unterschiedlicher Techniken des Trommelbaus und der Schnitzkunst an Trommelgriffen.

Rhythmen für Götter und Geister
Erschliesst die Schamanentrommel allein schon als ein physischer Gegenstand, der sich stumm dem Auge darbietet, eine ganze Welt von Bedeutungen, die sich in ihm bündeln und spiegeln, so öffnet sich eine weitere Tür, wenn man ihr in die akustische Dimension folgt. Als Erzeugerin von Klängen und Rhythmen vermag die Trommel, entsprechend den Techniken des Spiels, vielfältige Botschaften zu übermitteln, die, von den Anwesenden einer Séance wahrgenommen, sich an Götter und Geister, unsichtbare Helfer ebenso wie an versteckte Feinde richten können. Um von dem Spektrum dieser transzendenten Musik einen Eindruck zu geben, wurden für die Ausstellung ausgewählte Tonbeispiele zusammengestellt, die für die verschiedenen Regionen Asiens, in denen die Schamanentrommel erschallt, einen Querschnitt bieten.

Dauer der Ausstellung: 4. November 2007 bis 3. August 2008

Öffnungszeiten:            
Dienstag bis Freitag 10 – 13, 14 – 17 Uhr
Samstag 14 - 17 Uhr, Sonntag 11 – 17 Uhr

Eintritt für beide Schamanen-Ausstellungen: Fr. 15.– / 10.–

Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog:
Oppitz, Michael. Trommeln der Schamanen. Völkerkundemuseum der Universität Zürich 2007.
116 Seiten, farbig. 25x13 cm. CHF 10.-, ISBN 9 78390910548 9. Erhältlich an der Museumsporte oder im Online-Shopdes Völkerkundemuseums.