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Vishnu. Europäische Reisende begegnen einem indischen Gott

In europäischen Büchern sind seit dem 16. Jahrhundert in stets wachsender Zahl präzise Informationen über Indien zu finden. Nach der erfolgreichen Umsegelung der Südspitze Afrikas und der folgenden Kolonisation indischer Küstenstädte durch Portugiesen, Niederländer, Franzosen und Engländer gelangen viele Berichte von Reisenden – Seefahrer, Krieger, Händler, Geistliche und Abenteurer – nach Europa, um hier veröffentlicht zu werden. Im jungen florierenden Buchwesen und erweitert durch neue Techniken der Bildreproduktion, mittels Holzschnitten und später den feineren und detailreicheren Kupferstichen, wird das vorhandene Wissen zusammengefasst, aufgearbeitet und verbreitet. Der Buchdruck ermöglicht eine immense Ausweitung der Kenntnisse über Indien, die zugleich auch eine Konzentrierung auf bestimmte Themengebiete mit sich bringt. Insbesondere bilden sich bei den graphisch illustrierten Sujets mit der Zeit inhaltliche Schwerpunkte, die in ihrer Unmittelbarkeit und Eindeutigkeit einen starken Einfluss auf die Vorstellungen des Westens ausüben und ein bis in unsere Zeit reichendes Indienbild prägen.

Neben den Schilderungen verschiedener religiöser Feste und Prozessionen ist es das Religionssystem der Inder und dabei die Auseinandersetzung mit den vielarmigen Göttern in ihren exotisch wirkenden Darstellungsformen, welches die besondere Aufmerksamkeit der Autoren und Illustratoren auf sich zieht. Neben Brahma, dem Weltenschöpfer, und Shiva, dem gnädigen Zerstörer, ist es vor allem Vishnu, der Erhalter der Welt in ihrer Ordnung, der in der Breite seiner zehn Erscheinungsformen viel Raum einnimmt. Während Schöpfungsberichte oder Symbole der Schöpfungskraft des höchsten Gottes, wie sie im Falle Brahmas oder Shivas erklärt werden, Gemeinsamkeiten mit vertrauten Vorstellungen der eigenen Kultur aufweisen, sind die Mythen der Herabkünfte Vishnus für die Europäer offenbar schwer verständlich. Befremdend und faszinierend zugleich werden sie zu einem wesentlichen Bestandteil aller wichtigen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erscheinenden westlichen Abhandlungen zur indischen Religion, die immer wieder deren Einordnung und Deutung versuchen. Oft sind sie zudem durch Kupferstiche illustriert, deren Vorlagen vor Ort erworbene indische Miniaturmalereien sind. Prächtige Bilder der Erscheinungsformen Vishnus, aber auch von Prozessionen und Kasteiungen zu Ehren des Gottes, gehören nunmehr zum festen Bestandteil von Darstellungen zur indischen Religion und beeinflussen auch die Themen- und Bildauswahl späterer (in Europa oder in Indien forschender) Illustratoren und Autoren wie Bernard Picart oder Pierre Sonnerat bis weit in das 18. Jahrhundert hinein.

Bei allem Erstaunen und trotz grundsätzlicher Vorbehalte den «heidnischen Abgöttern» gegenüber – die Berichterstatter und grafischen Künstler legen eine grosse Sorgfalt und Genauigkeit in die Wiedergabe der Götterbilder und einzelner Rituale. Sie schaffen so eine verlässliche Grundlage für einen sich am Beobachtbaren orientierenden Blick auf die fremde Religion. Mithin zählen diese Bilder aus früher Zeit zu den Anfängen einer visuellen Wissenschaft vom Menschen.

Zur Ausstellung ist folgendes Buch erhältlich:
Paola von Wyss-Giacosa, Religionsbilder der frühen Aufklärung: Bernard Picarts Tafeln für die «Cérémonies et Coutumes religieuses de tous les Peuples du Monde». Benteli Verlag, Wabern/Bern 2006, ISBN 3-7165-1421-7, Fr. 78.–
(im Online-Shop des Völkerkundemuseums erhältlich)

Dauer der Ausstellung: 28. Juni bis 12. November 2006
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 - 13 und 14 - 17 Uhr,
Samstag 14 - 17 Uhr, Sonntag 11 - 17 Uhr. Eintritt frei.
Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Pelikanstrasse 40, 8001 Zürich