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Völkerkundemuseum

Nachruf auf Hanna Rauber-Schweizer (1942–2025)

«Ich bin nicht gegen Veränderungen, aber ich möchte unsere Traditionen bewahren.»
(Dil Bahadur Bhandari, Bhote Khampa, in: Hanna Rauber. 2022. «Of Salt and Rice. Life and Trade of the Bhote Khampa in Far West Nepal», Epilog, p.185)

Hanna Rauber beim Eingang des Völkerkundemuseums UZH. Foto: Silas Zindel, 2022.
Hanna Rauber beim Eingang des Völkerkundemuseums UZH. Foto: Silas Zindel, 2022.

Wir trauern um unsere liebe, unserem Museum über lange Jahre verbundene Kollegin, geschätzte Gesprächspartnerin und mutige Weggefährtin Hanna Rauber.

Hanna Rauber war eine passionierte Ethnologin, weltoffen, wissbegierig, kritisch, aufmerksam und voller Achtung für die Menschen in ihrem Wirken und Werken.

Am Anfang ihres beruflichen Werdegangs stand eine Bildhauerlehre, gefolgt von einigen Jahren Studium der Urgeschichte an der Universität Zürich. 1970/71 wechselte sie zur Ethnologie, die damals von einem Lehrgebiet innerhalb der Geografie zum unabhängigen Studienfach wurde. Sie war eine von rund zehn Studierenden des ersten Lehrstuhlinhabers, Lorenz Löffler, und sie war seine erste Doktorandin.

In der 2021 erschienenen Festschrift «Gewundene Wege einer undisziplinierten Disziplin. 50 Jahre Ethnologie in Zürich» blickt Hanna Rauber zurück auf diese Anfänge. Sie erzählt, wie sie in den 1970er Jahren im Nebenjob das Ethnologische Seminar in einer Wohnung mit sechs Räumen an der Rämistrasse 44 einrichtete; wie sie sich auf die vielen neuen und spannenden Themen der Ethnologie freute; vor allem aber, wie begeistert sie über die Möglichkeit war, auf Feldforschung gehen und teilnehmend beobachten zu können – so wie es die bedeutenden Ethnolog:innen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa Bronisław Malinowski, Alfred Radcliffe-Brown oder Edward Evan Evans Pritchard, Margaret Mead und Ruth Benedict es der jungen Ethnolog:innen-Generation in Zürich vorgelebt hatten.

Ihre erste Feldforschung führte Hanna Rauber in die nahe Ferne, nach Rikon im Tösstal. Aus zahlreichen Gesprächen mit einem Schmied der dortigen lokalen tibetischen Gemeinschaft und vertieften Einblicken in sein Handwerk verfasste sie 1976 ihre Dissertationsschrift «Der Schmied und sein Handwerk im traditionellen Tibet».

Der tibetisch-buddhistische Kulturraum sollte sie ihr Leben lang begleiten. Für ihre zweite – wegweisende – Feldforschung 1976–1977 wählte Hanna Rauber eine abgelegene Region in Far West Nepal in unmittelbarer Nähe der Grenze zum Autonomen Gebiet Tibet. Gemeinsam mit ihrem Übersetzer Tshewang verbrachte sie ein Jahr bei den Bhote Khampa (damals Humli Khyampa), einer kleinen tibetisch-sprechenden Gemeinschaft, die als Händlernomaden mit Schafen und Ziegen als Packtiere vom Tauschhandel mit Salz und Reis lebten. Kaum angekommen, hatte sie ein Schlüsselerlebnis, von dem sie auch in späteren Jahren immer wieder schmunzelnd erzählte: man sass gerade beim Buttertee, als ein junger Mann fragte, ob sie eine Taschenlampe hätte. Hatte sie – und übergab sie – um gleich darauf durch ihren Übersetzer den Zweck zu erfahren: «um eine Braut zu stehlen!» Hanna Rauber war entsetzt: «In den ersten zehn Minuten meiner Feldforschung bot ich Hand zu sowas!». Erst sehr viel später und um viele Erfahrungen und Erkenntnisse reicher eröffnete sich ihr der wahre Kontext, nämlich, dass es sich bei dieser Handlung nicht um eine Freiheitsberaubung, sondern um einen Akt der Befreiung handelte, damals ein bei den Bhote Khampa gängiger Weg, um sich vom Zwang einer arrangierten Heirat zu lösen.

Hanna Rauber mit einer Gemeinschaft von Bhote Khampa beim Biertrinken in einem Zelt.
«Chang-tung» – Lasst uns Bier trinken. Foto: Chakka Bahadur Lama, 1977 (Völkerkundemuseum UZH, Inv.-Nr. VMZ 830.01.332)

Was 1976/77 begann, setzte sich bis in die Gegenwart fort: Hanna Rauber blieb der Gemeinschaft der Bhote Khampa bis an ihr Lebensende tief verbunden, in der Schweiz wie in Nepal. Schon früh gab sie Teilbestände ihrer umfangreichen Feldforschungsmaterialien in die Obhut des Völkerkundemuseums, und 1983 kuratierte sie am VMZ die Ausstellung «Händlernomaden in Westnepal» mit Objekten und Fotografien aus ihrer Feldforschung.

Gürtelband der Bhote Khampa mit einer gezeichneten Illustration, wie es verwendet wird.
Gürtelband der Bhote Khampa (Inv.-Nr. VMZ 25963). Foto: Regula Kreis; Zeichnungen: Daniel Müller; Beratung: Kathrin Kocher

2010 und 2015 kehrte Hanna Rauber für kürzere Aufenthalte nach Far West Nepal zurück. 2015 forschte sie bei und mit den Bhote Khampa über ein scheinbar einfaches Objekt, das es in sich hatte: Ein Flechtband in der Sammlung des Völkerkundemuseums, dessen Herstellung Textil-Spezialist:innen in der Schweiz Rätsel aufgegeben hatte. Beglückt kam Hanna Rauber aus ihrer Feldforschung mit der Lösung zurück: Ein scheinbar einfaches Stück Holz, das die Hirten für das Flechten von Gürtelbändern und Steinschleudern verwenden, ermöglichte ihnen das Herstellen in einer den Expert:innen bis dahin unbekannten raffinierten Weise.

Hanna Rauber teilte ihr wissenschaftliches Erbe und ihre Erkenntnisse jedoch nicht nur mit der hiesigen Öffentlichkeit, sondern auch und vor allem mit den Bhote Khampa selbst – als Dank für ihre Gastfreundschaft ebenso wie als Zeichen von Wertschätzung und Respekt. Während ihrer Folgeforschungen 2010 und 2015 spielte sie Tonaufnahmen von 1976/77 vor, zeigte Bilder und übergab einen Fotoband mit Aufnahmen von damals. Beim Zuhören und Betrachten wurde deutlich: im Leben der Bhote Khampa hatte sich vieles verändert. Als Tauschhändler von Salz und Reis immer weniger gefragt, suchten sie nach anderen Erwerbsquellen und wurden mit der Zeit sesshaft.

«Schreib ein Buch darüber, wie es früher war», bat ein alter Bhote Khampa. Dies hat Hanna Rauber getan. Ihr Buch «Of Salt and Rice. Life and Trade of the Bhote Khampa in Far West Nepal» erschien 2022. Zahlreiche Exemplare reisten seither im Privatgepäck von Reisenden nach Nepal und damit zurück an den Ort, wo 1976/77 alles begann.

Am 6. Januar 2025 schloss sich der Lebenskreis von Hanna Rauber.

Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich wird diese Pionierin der Schweizer Ethnologie und ihr faszinierendes ethnologisches Werk in Ehren halten, bewahren, würdigen und auch in Zukunft der Öffentlichkeit in Erinnerung bringen.

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