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Völkerkundemuseum

Tibet – mehr als Religion und Politik

Medienmitteilung

Zürich, 25. Oktober 2018

 

Gängige westliche Sichtweisen auf ein traditionell verstandenes Tibet überdenken und neue Zugänge ermöglichen – dieses Anliegen verfolgt das Völkerkundemuseum der Universität Zürich in seiner aktuellen Ausstellung. Gezeigt werden die ethnografischen Sammlungen der Alpinisten Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer, die im Lhasa der 1940er-Jahren entstanden sind: in einer Zeit des Übergangs und in einer sich zuspitzenden politischen Lage.

 

1939 brachen zwei österreichische Bergsteiger – der Agronom Peter Aufschnaiter und der Geograf Heinrich Harrer – zum Achttausender Nanga Parbat in Kashmir auf. Auf der Rückreise wurden sie vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht und von der britischen Armee interniert. Fünf Jahre später gelang ihnen die Flucht ins Hochland von Tibet und nach Lhasa, wo sie sich niederliessen.

 

Vom Nanga Parbat zum Alltag in Lhasa

In Lhasa vermass Aufschnaiter für die tibetische Regierung die Stadt, baute Bewässerungssysteme und erprobte neues Saatgut. Daneben kartografierte er die Landschaft, machte Aufzeichnungen zum Klima und beschäftigte sich mit Landwirtschaft, Flora, Fauna und archäologischen Ausgrabungen. Harrer unterstützte ihn, übernahm aber auch eigene Mandate. Er nahm an gesellschaftlichen Anlässen teil, organisierte sportliche Aktivitäten und dokumentierte das Leben in der Stadt.

 

Im Zuge der Machtübernahme durch die kommunistische chinesische Regierung mussten Aufschnaiter und Harrer Lhasa Ende 1950 verlassen: jeder mit einer Sammlung ethnografischer Alltags- und Ritualgegenstände, mit zahlreichen Fotos, Karten und Zeichnungen, hunderten Seiten Tagebucheinträgen und Notizen. Harrer kehrte nach Europa zurück, von wo er zu neuen Reisen aufbrach und durch Auftritte und Publikationen Bekanntheit erlangte. Aufschnaiter, der ein eher zurückgezogenes Leben führte, begab sich nach Nepal, wo er bis zu seinem Tod 1973 lebte.

 

Zwei Sammlungen, ein Fokus

In den 1970er-Jahren wurde zuerst Harrers Tibetsammlung und später auch jene Aufschnaiters in die Obhut des Völkerkundemuseums der Universität Zürich gegeben. Dieses stellt in seiner aktuellen Ausstellung erstmals Bezüge zwischen den beiden Nachlässen her. So entsteht eine vielschichtige, verdichtete Karte Tibets, die dazu einlädt, gängige Stereotype zu überdenken. «Über die ausgestellten Gegenstände nähern sich die Besuchenden den Menschen, die sie einst hergestellt und verwendet haben», erklärt Kuratorin Martina Wernsdörfer. Schlagfeuerzeug, Steinschleuder, Münzen oder Kleidung werden zum Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem tibetischen Alltag der 1940er-Jahre, mit lokalen Fertigkeiten und einer Gesellschaft im Umbruch.

 

Tibetbilder im Westen

Der erste Teil der Ausstellung thematisiert die Wirkung von Harrers Buch «Sieben Jahre in Tibet» im Kontext herkömmlicher Sichtweisen auf Tibet. Seit den Schilderungen erster europäischer Reisenden im 17. Jahrhundert umgab das Land eine geradezu mystische Aura. In den belastenden Kriegs- und Zwischenkriegszeiten des 20. Jahrhunderts intensivierte sie sich und erhielt mit den Umwälzungen auf dem Dach der Welt ab 1950 neue Nahrung. Als mentale Gegenreaktion wurde das Bild eines traditionell verstandenen Tibet quasi eingefroren.

 

Vereinnahmung, Anpassung oder ideologische Überzeugung?

Ein zweiter Ausstellungsteil greift das kontrovers diskutierte Kapitel der nationalsozialistischen Vergangenheit von Harrer, aber auch von Aufschnaiter auf. Als Bezugsrahmen dient das Bergsteigen im Spannungsfeld zwischen persönlicher Leidenschaft, Massenbegeisterung und politischer Instrumentalisierung. Anknüpfungspunkte sind die Erstbegehung der Eigernordwand 1938, an der Harrer beteiligt war und die in der deutschen Propagandapresse als Sieg Grossdeutschlands ausgelegt wurde, sowie die nachfolgende Expedition zum Nanga Parbat 1939 unter der Leitung von Aufschnaiter. Materialien aus mehreren Archiven bieten Anhaltspunkte beim Nachdenken über offene Fragen – auch in den Leben von Harrer und Aufschnaiter.

 

Sammeln und Dokumentieren in einer Zeit des Umbruchs

Der dritte Bereich und Hauptraum schliesslich widmet sich den Objekten sowie Fragen des Sammelns und Dokumentierens. In der Gegenüberstellung der beiden ethnografischen Nachlässe offenbaren sich nebst Ähnlichkeiten auch Unterschiede, die individuelle Blickwinkel und Verhaltensweisen der beiden Männer zu erkennen geben. Sichtbar werden aber vor allem die Menschen, denen Harrer und Aufschnaiter in Lhasa begegneten, ihre Zeitgenossen und Lebenswelten. «Die Objekte werden zu Mosaikstücken in grösseren Zusammenhängen», sagt Martina Wernsdörfer. «Über ihre Bezüge untereinander erschliessen sich neue Dimensionen, die über Harrer und Aufschnaiter, aber auch über scheinbar vertraute Tibetbilder hinausgehen und so zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Gebiet und seiner Gesellschaft einladen.»

 

 

«Karte – Spur – Begegnung. Die Tibet-Sammlungen von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter»

Völkerkundemuseum der Universität Zürich

28. Oktober 2018 bis 8. September 2019, Eintritt frei

Vernissage: Sonntag, 28. Oktober 2018, 11 Uhr

www.musethno.uzh.ch

 

Die aktuelle Ausstellung ergänzt die im Juli 2018 eröffnete Ausstellung «Begegnung – Spur – Karte. Die Expeditions-Sammlungen von Heinrich Harrer».

 

Begleitpublikation zu den beiden Ausstellungen

Begegnung – Spur – Karte. Das ethnografische Erbe von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter. Mareile Flitsch, Maike Powroznik, Martina Wernsdörfer, Völkerkundemuseum der Universität Zürich (Hg.), Stuttgart und Zürich, 2018.

 

 

 

Kontakte:

Völkerkundemuseum der Universität Zürich

 

Dr. Martina Wernsdörfer (Tibet)

Tel. +41 44 634 90 21

E-Mail: wernsdoerfer@vmz.uzh.ch

 

Dr. Maike Powroznik (Expeditionen)

Tel. +41 44 634 90 20

E-Mail: powroznik@vmz.uzh.ch

 

Media Relations

Universität Zürich

Tel. +41 44 634 44 67

E-Mail: mediarelations@kommunikation.uzh.ch

 

Weiterführende Informationen

Schlagfeuerzeug

1 Schlagfeuerzeug (mechak) und/oder Geldtasche (lokhuk)
Verzierte Schlagfeuerzeuge ohne Stahlbügel können auch als Geldtasche für Münzen dienen und umgekehrt.
VMZ 14965. Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

Schlagfeuerzeug

2 Schlagfeuerzeug (mechak)
Schlagfeuerzeuge sind dem mobilen Leben der Hochlandbevölkerung angepasste Werkzeuge. Sie wurden am Gürtel getragen.
VMZ 14963. Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

Gebetskette

3 Gebetskette (mala)
Gebetsketten sind Merkhilfen. Sie werden verwendet, um Wiederholungen von gleichartigen Gebeten zu zählen.
VMZ 14923. Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

 

Religiöses Buch

4 Religiöses Buch (pecha)
Diese kostbare Ausgabe eines tibetischen Buches enthält die Lebensgeschichte von Guru Rinpoche (Padmasambhava).
VMZ 15065a. Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

 

Textile Steinschleuder

5 Textile Steinschleuder (ur-rdo)
Diese Schleuder ist ein Meisterwerk der Flechtkunst. Sie diente zum Lenken und Verteidigen der Herden.
VMZ 14941. Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

 

Körperzier und Körperschutz

6 Körperzier und Körperschutz
In den mit Türkisen besetzten Ohrgehängen, Fingerringen und Amulettbehältern verbinden sich Schutz und Zier.
Bild: Kathrin Leuenberger, 2018.

 

In Lhasa

7 In Lhasa
Surkhang Lhawang Topgyal, Lobsang Samten und Wangdüla.
Foto: Heinrich Harrer. © VMZ 400.02.50.016.

Ackerbau

8 Ackerbau
Pflüger auf einem Acker in der Nähe von Gyantse.
Foto: Peter Aufschnaiter. © VMZ 401.13.016.

Peter Aufschnaiter

9 Peter Aufschnaiter
Peter Aufschnaiter mit Winkelmessgerät auf dem Eisenhügel (Chagpori) bei der Vermessung der Stadt Lhasa.
Foto: Heinrich Harrer. © VMZ 400.07.61.010.

Heinrich Harrer

10 Heinrich Harrer
Heinrich Harrer beim Eislaufen hinter dem Eisenhügel in Lhasa.
Foto: Heinrich Harrer. © VMZ 400.07.35.027.

Blick in die Ausstellung. Foto: Kathrin Leuenberger, 2018.

11. Blick in die Ausstellung
Foto: Kathrin Leuenberger, 2018.

Blick in die Ausstellung. Foto: Kathrin Leuenberger, 2018.

12. Blick in die Ausstellung
Foto: Kathrin Leuenberger, 2018.