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Völkerkundemuseum

Über das Bienenwissen von Ayoréode. Medienmitteilung und Pressefotos

Medienmitteilung


Honig als Grundnahrungsmittel und indigenes Kulturgut

Die neue Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich befasst sich mit Ayoréode, Nomadinnen und Nomaden in den Wäldern Boliviens, die sich seit Jahrzehnten an ein sesshaftes Leben anpassen müssen. Wie bewahren sie dabei ihr mündlich überliefertes Wissen über Wildbienen? Wie entwickeln sie ihr Können im neuen Lebensumfeld? Alltagsgegenstände und Stimmen aus der indigenen Bevölkerung machen das Aufeinandertreffen von zwei sehr unterschiedlichen Weltbildern und Lebensweisen erlebbar.
 

Ayoréode bewohnten als Jägernomadinnen und -nomaden die weitgehend unzugänglichen Trockenwälder und Dornbuschsavannen des nördlichen Gran Chaco im Grenzgebiet von Bolivien und Paraguay. In den 1940er Jahren gerieten die Ayoréode – was in ihrer Sprache «Menschen» bedeutet – zunehmend unter Druck: Der Gran Chaco ist die Waldregion der Erde, die am schnellsten abgeholzt wird. Das Gebiet wurde von Missionaren, Siedlerfamilien und Wirtschaftsgiganten aus der Agrar- und Rohstoffindustrie besetzt. Einzelne Ayoréode-Gruppen verliessen nach und nach die Wälder und schlossen sich den sesshaften Bevölkerungen an.

In diesem Prozess begegneten sich sehr unterschiedliche Lebensentwürfe und Interessen: Wie stellten sich die Nomadinnen und Nomaden ein sesshaftes Leben vor? Wie passten sich Ayoréode der unumgänglichen Veränderung ihrer vertrauten Lebensweise an? Entfaltete ihr nomadisches Wissen dabei einen Nutzen?
 

Bienen standen im Zentrum des Wissens

Die Ausstellung «Ohne Honig hast du nichts zu essen – Über das Bienenwissen von Ayoréode im Gran Chaco, Südamerika» im Völkerkundemuseum Zürich nimmt sich dieser Fragen an. In einer Zeit der gesellschaftlichen Transformation vom Nomadismus in die Sesshaftigkeit steht dabei ihr Wissen über Bienen im Fokus. Die Honige wildlebender Bienenvölker dienten als Hauptnahrungsmittel im mobilen Leben von Ayoréode. Bienen und Honig bildeten ein Zentrum ihres Wissenssystems und waren mit ihrer materiellen und immateriellen Kultur eng verknüpft.

Ayoréode gaben ihr Wissen mündlich weiter und verliehen diesem über Dinge Ausdruck: In Holz, Pflanzenfasern oder Federn zeigen sich ihr handwerkliches Können und weitreichende Kenntnisse über ihre Umwelt. Mythen und Lieder dienten der Weitergabe von Wissen, jede Veränderung kam einer Aktualisierung ihres Wissenstandes gleich.
 

Objekte als Zeugen von Könnerschaft

Die Ausstellung in Zürich umfasst Objekte für die Imkerei, den Transport, für den temporären Aufenthalt an einem Ort und für die Nahrungszubereitung. Behältnisse zur mobilen Aufbewahrung, Waffen und Werkzeuge, Objekte für Medizin und Heilung, Musik, Sport und Spiel sowie Schmuck und Kleidung gehören ebenfalls dazu. «Verblüffend ist, wie meisterhaft die Ayoréode ihre Objekte reduzierten – in Bezug auf Auswahl, Menge und Grösse – sowie der klare Fokus auf Multifunktionalität», erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Maike Powroznik. Fast jeden Tag schlugen die Ayoréode ein neues Lager auf und organisierten neue Plätze zum Schlafen und Verweilen. Die Frauen transportierten dabei den materiellen Familienbesitz in grossen Taschen. Diese zeigten nicht nur ihre Handfertigkeit, sondern auch die soziale Einbettung der Trägerin. Indem Clansymbole in die textile Struktur einarbeitet wurden, waren die Clanzugehörigkeit sowie die Stellung und Beziehungen des Clans für alle sichtbar.

Die Exponate stammen aus Sammlungen des BASA-Museums der Universität Bonn, mit dem das Völkerkundemuseum Zürich eine enge Forschungskooperation pflegt. Sie sind Zeugen des nomadischen Lebens, und manche wurden in der Sesshaftigkeit weiterhin verwendet. Insbesondere Taschen wurden jedoch auch als Einnahmequelle neu produziert – denn in der Sesshaftigkeit brauchten die Ayoréode plötzlich Geld, um sich Essen zu kaufen, das im Wald noch frei verfügbar gewesen war. Zusammengetragen wurden die meisten Gegenstände von drei Sammlern und Ethnologen. Heinz Kelm, Bernd Fischermann und Ulf Lind forschten von 1955 bis 1971 bei Ayoréode, als diese begannen, sich bei Missionsstationen anzusiedeln.
 

Weder angekommen noch angenommen

«Aus den Begegnungen von Ayoréode mit Missionaren oder NGOs wird deutlich, dass man ihnen selten als moderne Zeitgenossen mit einem eigenen reflektierten Blick auf die Welt gegenübertrat. Man betrachtete sie nicht als Expertinnen und Experten eines riesigen Ökosystems, sondern als rückständig», sagt Powroznik. Auch heute noch sei ein grundlegendes gegenseitiges Unverständnis spürbar: Ayoréode sind in der sesshaften Welt weder wirklich angekommen, noch von dieser angenommen.

Der Ayoréi Comai Chiqueno liess sich 1948 mit 8 Jahren als einer der ersten bei einer Missionssiedlung nieder. 2006 zeigte er sich resigniert: «Ich sage, in unserem früheren Leben gab es weder Lüge noch Egoismus; es gab weniger Probleme, denn die Menschen lebten gesund in Kopf, Geist und Körper. Die Menschen heute sind kaputt, ihre Lebensweise und Gesundheit sind zerstört; ihr jetziges Leben ist sinnlos. Früher im Wald kam es selten zu Auseinandersetzungen, zu Streitereien untereinander. Heutzutage streitet eine Familie mit der andern. In der Zivilisation gibt es Bier, Singani – gebrannten Schnaps –, Zigarren und Kokablätter. Mit diesen Lastern zerstört man sich das Gehirn.»

Beigesteuert wurde das Interview mit Comai Chiqueno von Henriette Stierlin, Ideengeberin und Gastkuratorin der Ausstellung. Im Januar dieses Jahres traf sie Comai Chiquenos Sohn Jaime Comai, der das Projekt unterstützt und weiteres Material zur Verfügung stellte. Beiden Kuratorinnen war es ein Anliegen, indigene Stimmen – insbesondere jene von Comai Chiqueno – in die Ausstellung einzubringen. Die Reflexionen der Ayoréode selbst sollen den weitgehend europäischen Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung die indigene Perspektive erschliessen.
 

Kontaktinformation
Dr. Maike Powroznik, Kuratorin

powroznik@vmz.uzh.ch

Tel.: +41 44 634 90 20

Universität Zürich
Völkerkundemuseum
 

«Ohne Honig hast du nichts zu essen – Über das Bienenwissen von Ayoréode im Gran Chaco, Südamerika»

Völkerkundemuseum der Universität Zürich
Pelikanstrasse 40
8001 Zürich

Ausstellung vom 22.11.2020 bis 30.1.2022


www.musethno.uzh.ch/Ayoreode


Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 10–17 h, Do 10–19 h, Sa 14–17 h, So 11–17 h
Montag geschlossen, Eintritt frei

 

Media Relations

Universität Zürich

Tel. +41 44 634 44 67

E-Mail: Mediarelations@kommunikation.uzh.ch

 

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Weiterführende Informationen

Pressefotos

Rasseln

Rasseln

„Ich werde nur von der Caritai-Biene erzählen, … Und ich singe in den Rekorder von Eva [Henriette Eva Stierlin]; und man wird mich hören da, wo sie wohnt“, sang Iyadaté in Guayé, Bolivien.

Henriette Eva Stierlin nahm während des von ihr geleiteten NGO-Projekts zur Imkerei mit wildlebenden südamerikanischen Honigbienen 2003–2005 etliche Lieder auf, in den denen das Bienenwissen von Ayoréode hörbar wurde. Gesänge aller Art wurden mit Rasseln, paracará, begleitet.

Sammlung Ulf Lind 1969/70, gesammelt von Ayoréode an der Missionsstation El Faro Moro, Paraguay, BASA-Museum der Universität Bonn, Inv.-Nr. UL67 a/b.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Kindertragebeutel

Kindertragebeutel

Ihren gesamten materiellen Familienbesitz trugen die Frauen mit Hilfe von Stirntragebändern in grossen runden Taschen auf dem Rücken. Für Babys und Kleinkinder, die noch keine langen Strecken laufen konnten, wurden die kleineren, aber formgleichen Beutel júbebi verwendet. Die Tragebänder für alle Taschen waren in der Länge verstellbar.

Sammlung Heinz Kelm 1955/56, gesammelt von Ayoréode an Missionsstationen in Ostbolivien, BASA-Museum der Universität Bonn, Inv.-Nr. 1652.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Männertasche

Männertasche

„Die Clane waren in allem sichtbar: in den Pflanzen, den Tieren, in den Liedern…“ (Comai Chiqueno, 2006). Sie alle waren einmal Ayoréode, Menschen, und gehörten einem der sieben Clane an. In die hier abgebildete Männertasche, utebetai, hat die Herstellerin ein rautenförmiges Muster eingearbeitet, das die Tasche als Besitz des Chiquenone-Clans ausweist. Darin transportierten Männer ihre Werkzeuge, Messer, Pfeifen, Feuerzeug oder Hilfsmittel für die Honigernte. Auch heute werden diese Taschen vor allem von Männern benutzt.

Sammlung Heinz Kelm 1955/56, gesammelt von Ayoréode an Missionsstationen in Ostbolivien, BASA-Museum der Universität Bonn, Inv.-Nr. 1596.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Sandalen

Sandalen

„… wenn es wenig Wasser, wenig Honig gab, blieb man höchsten ein oder zwei Tage“ (Comai Chiqueno, 2006). Mobilität bestimmte weitgehend den Alltag und die Selbstversorgung von Ayoréode. Sandalen, wie diese aus Tapirleder und aus mit Bienenwachs geschmeidig gehaltenen Bromelienfaser-Schnüren, schützten die Füsse vor Verletzungen.

Sammlung Heinz Kelm 1955/56, gesammelt von Ayoréode an Missionsstationen in Ostbolivien, BASA-Museum der Universität Bonn, Inv.-Nr. 1623.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Equipment zum Sammeln von Honig

Equipment zum Sammeln von Honig

Die Honignester fanden Ayoréode meist hoch oben in hohlen Baumstämmen. Das Kletterseil enuréi erlaubte ihnen das ihnen ein Arbeiten in der Höhe mit freien Händen; mit der Axt ijñóse öffenten sie den Baumstamm; ein Bündel von Bromelienfasern, genannt ga, half dabei, den sehr flüssigen Honig aus dem Inneren des Bienenstocks aufzusaugen, um ihn dann in eine Schale, genannt kadosná, auszuwringen. Was nicht vor Ort gegessen wurde, nahmen die Honigsammler in verschliessbaren Kalebassenbehältern, catojá, mit zu ihren Lagerplätzen.

Sammlung Heinz Kelm, gesammelt von Ayoréode an Missionsstation in Ostbolivien 1955/56, Inv.-Nrn. 1620, 1633; Sammlung Ulf Lind, gesammelt von Ayoréode an der Missionsstation El Faro Moro, Paraguay, 1969/70, Inv.-Nrn. UL10, UL11, UL14, UL19, UL25; BASA-Museum der Universität Bonn.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Equipment zum Essen von Honig

Equipment zum Essen von Honig

Aufgrund der flüssigen Konsistenz von Chaco-Honigen wurden diese gerne mit pamatadé genannten Honigpinseln aus Bromelienfasern gegessen; sie wurden in den Honig getunkt und dienten so als Essgeräte. Um keinen Honig zu verschwenden, wuschen Ayoréode auch die Honigwaben in Krügen mit Wasser aus und tranken das erfrischende Honigwasser guarapo, das sicherlich auch aufgrund des Wachses wieder eine eigene Geschmacksnote annahm.

Sammlung Heinz Kelm, gesammelt von Ayoréode an Missionsstation in Ostbolivien 1955/56, Inv.-Nrn. 1514, 1611, 1612; Sammlung Ulf Lind, gesammelt von Ayoréode an der Missionsstation El Faro Moro, Paraguay, 1969/70, Inv.-Nrn. UL12, UL13, UL15, UL110; BASA-Museum der Universität Bonn.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Honigpinsel

Honigpinsel

Chaco-Honige sind sehr flüssig, sie haben einen hohen Wasseranteil. Deshalb wurden sie gerne mit pamatadé genannten Honigpinseln aus Bromelienfasern gegessen; diese wurden in den Honig getunkt und dienten so als Essgeräte.

Sammlung Ulf Lind, gesammelt von Ayoréode an der Missionsstation El Faro Moro, Paraguay, 1969/70, Inv.-Nr. UL12, BASA-Museum der Universität Bonn.

Foto: Kathrin Leuenberger 2020 © Völkerkundemuseum der UZH

Honig sammeln

Honig sammeln

Viele Nester wildlebender Honigbienen befinden sich hoch über der Erde in Baumhöhlen. Ayoréode hatten auch Praktiken der Halbhaltung von Bienen – zum Beispiel stellten sie im Umfeld beliebter Lagerplätze ausgehöhlte Baumstämme bereit, um Bienenschwärme anzulocken. Ein solches Nest erntete das auf diesem Foto zu sehende, uns nicht namentlich bekannte Ehepaar.

Foto: Archiv Apoyo Para el Campesino-Indígena del Oriente Boliviano (APCOB), ohne Jahr.

Honig sammeln

Honig sammeln

Mit einem Seil hat dieser Mann einen Baum erklettert, um in der Höhe ein Bienennest zu öffnen und den Honig zu entnehmen. Die Klettertechnik erlaub ihm ein Arbeiten mit freien Händen.

Foto: Archiv Bernd Fischermann, ohne Jahr

Bienenstock

Bienenstock

In einem NGO-Projekt siedelten Ayoréode der Gemeinde Guayé, Bolivien, gemeinsam mit der Projektleiterin Henriette Stierlin sowie dem Imker und Veterinär Eugenio Stierlin wildlebende Honigbienen in Bienenkästen an. Jede Bienenart baut anders, so braucht jede Biene einen eigens für sie konstruierten Kasten. Hier zu sehen ist das Nest der Ajidabia-Biene (Tetragonisca angustula).

Foto: Javier Coimbra, Santa Cruz de la Sierra, 2020

Einblick in die Ausstellung

Einblick in die Ausstellung

„Ohne Honig hast du nichts zu essen. Über das Bienenwissen von Ayoréode im Gran Chaco, Südamerika“.

Foto: Kathrin Leuenberger, 2020

Einblick in die Ausstellung

Einblick in die Ausstellung

„Ohne Honig hast du nichts zu essen. Über das Bienenwissen von Ayoréode im Gran Chaco, Südamerika“.

Foto: Kathrin Leuenberger, 2020